Seit einigen Jahren nun schon rückt das Mikrobiom immer mehr ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Die Milliarden von Bakterien, die in unserem Körper leben, haben einen bisher unterschätzten Einfluss darauf, ob wir eher gesund oder krank sind. Die genauen Zusammenhänge sind noch nicht vollends verstanden, aber eins ist sicher: Wir leben in einer engen Symbiose mit unseren Bakterien.
Je besser wir dieses Zusammenspiel verstehen, desto besser können wir es uns zu Nutze machen. Essen wir viele z.B pflanzliche Ballaststoffe können unsere Darmbakterien diese in kurzkettige Fettsäuren umwandeln, die mit einigen gesundheitlichen Vorteilen einhergehen. Ebenfalls gesundheitsförderlich ist es, eine möglichst große Vielfalt im Mikrobiom zu erhalten.
Im Alter scheint diese Symbiose dann zusehends zu einer Dysbiose zu werden. Immer weniger der „guten“ Bakterien leben in unserem Darm und die „schlechten“ nehmen Überhand. Dabei lässt sich dies nicht so einfach auf eine Bakterienart herunterbrechen, da jedes Mikrobiom hochindividuell ist und von vielen Faktoren abhängt. Zum Beispiel von ethnischer Herkunft, Lebensumständen, Nahrungsauswahl, Lebensstil, etc.). Veränderungen im Mikrobiom werden mit einigen chronischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, wie Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und Krebs. Hier erfährst du alles zum Thema.
Mehr als nur Bakterien – unser Mikrobiom
Über das Mikrobiom lassen sich ganze Bücher füllen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem keine neue Studie zu dem Thema veröffentlicht wird. Und das Forschungsinteresse ist mehr als berechtigt. Das Mikrobiom ist auf uns angewiesen und umgekehrt. Wie genau diese Symbiose funktioniert, wird nach und nach aufgedeckt. Ganz grob lässt sich sagen, dass wir das Mikrobiom brauchen, um an einige Nährstoffe aus der Nahrung ran zu kommen. Unser Körper besitzt nicht für jeden Nährstoff die richtigen Enzyme, um es zu zerlegen. Und genau hier kommt das Mikrobiom ins Spiel.
Was für uns normalerweise nur „Abfall“ wäre, wie z.B Ballaststoffe, kann von unserem Mikrobiom verdaut werden. Die Bakterien sind sogar darauf angewiesen, dass sie von uns „gefüttert“ werden. Im Gegenzug produzieren sie einige Stoffe, die vorteilhaft für unsere Gesundheit sind. Dazu zählen sekundäre Gallensäuren, Vitamine, Aminosäurenderivate und kurzkettige Fettsäuren.
Darüber hinaus steht das Mikrobiom anscheinend im engen Zusammenhang mit unserem Darm-Nervensystem – ein gigantisches Netzwerk aus Nervenzellen, die unseren Darm auf ganzer Länge umgeben. Wenn man so will, unser zweites Gehirn oder unser „Bauchgefühl“. Und dieses enterische Nervensystem steht natürlich auch im Austausch mit unserem zentralen Nervensystem.
Du siehst also schon, das Mikrobiom ist komplex und seine Vernetzungen bzw. Auswirkungen noch komplexer. Dies macht es nicht immer leicht Studien durchzuführen. Dennoch konnten die Wissenschaftler einiges in Bezug auf das Altern herausfinden. Mehr dazu gleich.
Auf die Vielfalt kommt es an – Symbiose statt Dysbiose
Bevor wir uns anschauen, was passiert, wenn das Mikrobiom nicht zu unserem Vorteil arbeitet, müssen wir uns die Frage stellen, was überhaupt ein gesundes Mikrobiom ist. Diese Frage ist schwieriger zu beantworten, als man auf den ersten Blick annehmen mag. Es gibt unzählige Studien dazu und die Erkenntnis daraus, lässt sich wie folgt definieren: Das Mikrobiom ist sehr individuell. Welche Bakterien haben wir aus der jüngsten Kindheit mitgenommen? In welchem Land sind wir geboren? Welche Gene tragen wir in uns? Wie sah unsere Nahrung in der Kindheit aus? Hatten wir schwere Darminfektionen? Wie ernähren wir uns? Essen wir viele Ballaststoffe? Und so weiter.
Es ist weithin anerkannt, dass wir unser Mikrobiom in den frühen Kindheitsjahren entwickeln und dieses im Verlauf unseres Erwachsenenalters in der Regel stabil bleibt (es sei denn, man man ändert seine Lebensgewohnheiten bzw. sein -umfeld radikal).
Je älter wir werden, desto mehr nimmt die Vielfalt an Bakterien in unserem Darm ab. Die Forscher sehen hier einen der Hauptgründe für altersassoziierte Erkrankungen. Ein einseitiges Mikrobiom macht uns anfällig für ein Übermaß an „schlechten“ Bakterien.
Eindrucksvoll kann man dies am Beispiel von Clostridium difficile sehen. Dieses kleine Bakterium lebt in unserem Darm und sorgt dort zunächst für kein großes Aufsehen. Haben wir einen stärkeren Infekt, der einer speziellen antibiotischen Behandlung bedarf, hat dieses Bakterium allerdings einen Überlebensvorteil. Während ein Großteil der Bakterien in unserem Darm abstirbt, überlebt C.difficile und fängt an sich rapide zu vermehren, da auf einmal keine Konkurrenten mehr da sind. Das Resultat ist eine schwere Darminfektion, die oftmals im Krankenhaus behandelt werden muss.
Eine Dybiose kann durch die Überpopulation des Bakteriums Clostridium difficile ausgelöst werden. Verantwortlich dafür ist häufig eine Antibiotikatherapie.
Dysbiose am Beispiel von p-Cresol
Es gibt hunderte von Stoffwechselvorgängen, die alle einen möglichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Um es etwas zu vereinfach, zeigen wir dir ein Beispiel eines recht gut erforschten Metaboliten: p-Cresol
In der ELDERMET Studie wurden 500 Menschen, alle über 65, auf ihr Mikrobiom und die möglichen Stoffwechselprodukte getestet. Hier zeigte sich, dass Teilnehmer mit höheren Stuhlkonzentrationen von p-Cresol eine erhöhte Gebrechlichkeit aufwiesen.
Was ist nun p-Cresol? Dieses Molekül entsteht durch die Fermentation der Aminosäure Tyrosin in unserem Darm. Die sulfatierte Version des Moleküls wird über unsere Nieren ausgeschieden. So lange unsere Nieren gesund sind, scheint dies kein Problem zu sein. Lässt die Filtrationsrate allerdings nach und der p-Cresol Spiegel in unserem Blut steigt, scheint es problematisch zu werden.
Hohe p-Cresol Spiegel stehen in Zusammenhang mit der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen und sie wirken toxisch auf das Filtersystem in unseren Nieren. Dies scheint ein Teufelskreis zu sein. Menschen mit schlechterer Nierenfunktion haben oft eine Dysbiose des Mikrobioms. Es kommen vermehrt aerobe Bakterien vor, die die Produktion der toxischen Metabolite, unter anderem p-Cresol, fördern. Vielleicht verbirgt sich dahinter ein möglicher Ansatzpunkt für die Zukunft.
Tryptophan Stoffwechsel: Von der Symbiose zur Dysbiose
Ein weiterer, wichtiger Stoffwechselvorgang in unserem Darm, ist der Tryptophan-Weg. Tryptophan ist eine Aminosäure, die wir z.B über die Nahrung aufnehmen. Unsere Darmbakterien haben verschiedene Möglichkeiten diese Aminosäure weiter zu verstoffwechseln. Wir zeigen dir die drei wichtigsten:
- Kynurenin-Weg (Kyn): Über das Enzym IDO (Indolamin-2,3-Dioxygenase) wird Tryptophan zu Kynurenin abgebaut
- Serotonin-Weg: Unsere Darmbakterien können Tryptophan in das „Glückshormon“ Serotonin umwandeln. Ganze 90% unseres Serotonins befinden sich dabei im Darm! Über diese Achse kann Tryptophan auch in Melatonin, dem Schlafhormon, umgewandelt werden
- Indol-Weg: Die dritte Möglichkeit des Tryptophans Abbaus ist der Indol Weg. Höhere Indol Konzentrationen bei älteren Menschen konnten mit einer gesteigerten Fitness in Verbindung gebracht werden. Auch bei Mäusen konnte durch einen Anstieg der Indol Metaboliten die Lebensspanne erhöht werden
Dysbiose als Hallmark of Aging: Auf das Gleichgewicht kommt es an
Einige Studien bezüglich des Tryptophans Stoffwechsels, kommen zu dem Schluss, dass eine Störung des Gleichgewichtes zu Erkrankungen beitragen kann. Ist z.B das oben genannte Enzym IDO (um genau zu sein, die Unterklasse IDO-1) überaktiviert, so finden wir mehr Kynurenin im Vergleich zu Serotonin als normalerweise im Körper. Dieses Mehr an Kynurenin ist mit einigen Erkrankungen verbunden. So konnte gezeigt werden, dass Depressive häufig eine Überaktivierung von IDO-1 haben, was in niedrigeren Serotonin-Spiegeln resultiert. Eine der Hypothesen ist, dass dies zur Depression beiträgt.
Anmerkung: Die lange in der Wissenschaft angenommene Hypothese, niedrige Serotonin Spiegel seien der Auslöser von Depressionen, ist so nicht ganz korrekt. Serotonin spielt eine Rolle bei der Erkrankung, aber es lässt sich nicht so einfach herunterbrechen.
Chronische Entzündungen können die IDO-Aktivität erhöhen und somit lässt sich die Vermutung formulieren, dass Entzündungen über diesen Weg auch zu der Dysbiose unseres Mikrobioms beitragen.
Inflammaging und Dysbiose – zwei Hallmarks mit enger Verknüpfung
Wie wir eben schon gesehen haben, kann sich eine chronische Entzündung negativ auf unser Mikrobiom auswirken. Es scheint aber auch anders herum zu gehen, zumindest lassen Experimente an Mäusen darauf schließen. Dafür wurden zwei Populationen an Mäusen genommen. Einmal junge und gesunde Mäuse und einmal ältere, kranke Mäuse. Nun wurde das Mikrobiom der älteren Mäuse auf die jüngeren Mäuse übertragen. Das Ergebnis war, dass die jüngeren Mäuse deutlich mehr Entzündungszeichen aufwiesen, also höhere Entzündungsmarker.
Fazit
Das Mikrobiom ist eines der spannendsten Forschungsfelder und die Disruption der Balance scheint im Alter zu einigen Erkrankungen beizutragen. Wir verlieren die Vielfalt an Bakterien, die uns gesund halten und deshalb wurde die Dysbiose auch als eines der Hallmarks of Aging aufgenommen. In der Zukunft werden wir sicherlich einige Therapieansätze sehen, die genau diese Dysbiose wieder aufheben.
Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das zwölfte Kennzeichen des Alterns: Veränderte Autophagie.