Die Menschheit trachtet nicht erst seit dem „Jungbrunnen“ von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1546 nach Langlebigkeit, sondern bereits seit ihrem Bestehen. Über die Zeit wurden aus Quacksalbern Wissenschaftler und aus verborgener Mystik, sichtbare und überprüfbare Fakten. Mit der technischen Evolution erhielt die Forschung das nötige Werkzeug, um sich der Komplexität, der Veränderungen des menschlichen Körpers über die Zeit, anzunähern. Die Wissenschaft hat manchmal bewusst, manchmal auch nur zufällig in Experimenten einige Stellräder auf Ebene der Zellen identifizieren können.
Die Kommunikation beziehungsweise der Informationsaustausch zwischen Zellen erfolgt im Wesentlichen über kleine Moleküle und Proteine. Es gibt dabei wie bei Handysignalen eine oder mehrere Senderzellen und eine oder mehrere Empfängerzellen. Registriert die Empfängerzelle das Signal, leiten chemische Botenstoffe die „Information“ innerhalb der Zelle entlang spezieller „Pfade“ weiter und führen dadurch zu einer Aktivitätsänderung der Zelle. Diese Aktivitätsänderung kann beispielsweise eine Beschleunigung oder Verlangsamung der Arbeit meinen, gleichwohl kann es dazu führen, dass die Zelle plötzlich ganz andere Produkte herstellt.
Auf vier Pfaden hin zur Langlebigkeit
In Bezug auf das Altern und die Langlebigkeit haben sich vier „Pfade“ auf der molekularen Spielwiese herausgebildet:
- mTOR
- AMPK
- Sirtuine
- NF-kB
Über die Entdeckung dieser vier Pfade ist es Wissenschaftlern gelungen unser Verständnis vom Altern grundlegend zu verändern. Die Darstellung dieser Signalwege als Pfade lässt vermuten, dass es sich um unabhängige Marschrouten durch den Jungbrunnen handelt. Das ist jedoch ein Irrtum, der der Formulierung geschuldet ist. mTOR, AMPK, Sirtuine und NF-kB stehen in vielfältiger Weise miteinander in Verbindung und bedingen sich mitunter gegenseitig. Trotzdem wollen wir die Pfade in Richtung Langlebigkeit, aus Gründen der leichteren Verständlichkeit, einzeln beschreiten. Machen wir uns auf den Weg.
mTOR – Rapamycin, Mäuse und Fasten
mTOR (mechanistic target of rapamycin) ist ein Protein mit Vorkommen in allen Säugetieren inklusive dem Menschen, das als Signalknotenpunkt in der Zelle funktioniert. Das bedeutet, dass mTOR viele Signale erfasst und integriert, um Reaktionen wie Zellwachstum und -teilung, Zelltod und Entzündung zu steuern. Funktioniert die Regulation von mTOR nicht, kann sich das negativ auf Langlebigkeit und Gesundheit auswirken.
Sowohl ein zu viel an Aktivität als auch ein zu wenig davon erwies sich als nachteilig. Bei Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Fettleibigkeit oder Diabetes fand sich eine Überfunktion des mTOR-Pfades. Eine zu niedrige mTOR-Funktion schwächt unser Immunsystem. Das kann man sich mit Medikamenten wie Rapamycin, die mTOR hemmen, auch medizinisch zu Nutze machen. Bekommt jemand beispielsweise eine Leber transplantiert muss in der Folge das Immunsystem geschwächt werden, damit es die neue „fremde“ Leber nicht abstößt.
Zusätzlich dazu hat Rapamycin als bisher einziges Medikament in Studien an Mäusen durchgängig zu einer Lebensverlängerung geführt. Diese wurden allerdings in einer keimfreien Umgebung gehalten und waren deshalb auf kein starkes Immunsystem angewiesen. Trotzdem sind die Ergebnisse ermutigend, da durch die Hemmung der mTOR-Aktivität altersbezogene Krankheiten wie Diabetes, Krebs, und Herzerkrankungen abgeschwächt auftraten. Diesen interessanten Ansatz hat die Forschung bereits aufgegriffen und mögliche Anti-Aging Therapien auf mTOR-Basis sind so aus der Ferne in die Nähe gerückt.
Auch unabhängig von möglichen Medikamenten können wir einen Beitrag zur Signalweg-Balance leisten. Die goldene Mitte der mTOR-Funktion kann durch:
- einen gesunden Lebensstil mit ausreichend Bewegung,
- gelegentliche Fastenepisoden
- und der Reduktion von tierischen Proteinen in unseren Mahlzeiten unterstützt werden.
AMPK – Metformin, freie Radikale und mTOR-Hemmung
Was für das Zusammenleben gilt, trifft im kleineren Maßstab auch für die Zelle zu. Ein Energiestoffwechsel im Gleichgewicht, eine verbesserte Stressresistenz und eine qualifizierte Haushaltsführung sind alles Merkmale einer verbesserten Gesundheitsspanne und einer verlängerten Lebensdauer. Der AMPK-Signalweg (Adenosin Monophosphat-aktivierte Proteinkinase) ist an der Regulierung all dieser Eigenschaften beteiligt und kann zusätzlich den vorher kennengelernten mTOR-Signalweg hemmen. Wie wir wissen, kann das für uns positive Auswirkungen haben.
AMPK sorgt im Körper beispielsweise dafür, dass die Glucose aus unserer Nahrung in Energie umgewandelt wird und sich nicht in Form von Fett auf unseren Hüften oder Bäuchen wiederfindet. Diesen Mechanismus machen sich Forscher in der Diabetesbehandlung zunutze. Metformin ist als Diabetesmedikament zugelassen und wirkt im Körper als AMPK-Aktivator. Dem Medikament wird, ob der breiten Wirksamkeit von AMPK, aber noch Strahlkraft weit über die Zuckerkrankheit hinaus bescheinigt. Aktuell wird das Potential dafür in mehreren Studien untersucht.
Von diversen Forschungsbemühungen wissen wir, dass die Reaktionsfähigkeit von AMPK mit dem Alter abnimmt – leider. Dieser Verlust beeinträchtigt die Stoffwechselregulation und steigert die Anzahl der freien Radikale im Körper. Diese altersbedingten Veränderungen sorgen dann für Stoffwechselstörungen und eine leichte Entzündung in den Körperzellen. Die Folge: wir haben eine höhere Wahrscheinlichkeit Diabetes zu entwickeln oder Herz-Kreislauferkrankungen zu bekommen.
Glücklicherweise kann jeder von uns über AMPK einen Beitrag zur Langlebigkeit leisten, damit die Funktionalität von AMPK besser erhalten bleibt: Intermittierendes Fasten, regelmäßiges körperliches Training und eine eventuelle Gewichtsabnahme.
Wusstest Du?
Nicht nur das Diabetes Medikament Metformin aktiviert den AMPK Pfad, sondern auch das natürlich vorkommende Berberin. Berberin erhöht die natürliche Insulinsensitivität und sorgt für einen gleichmäßigen Blutzuckerspiegel. Dies macht Berberin zu einem interessanten Molekül in der Longevity Forschung, da es unter anderem gegen eine drohende Insulinresistenz von Nutzen sein kann.
Sirtuine – Gene der Langlebigkeit und NAD+
Sirtuine ist ein Sammelbegriff für eine Familie von sieben Proteinen (SIRT 1 – SIRT 7). Wir können uns diese Proteinfamilie in etwa wie Politiker vorstellen. Diese bestimmen wann ein Projekt realisiert wird, wie es ausschauen soll, ob mehrere Projekte gleichzeitig laufen oder ob Projekte abgebrochen werden. Diese Entscheidungen erfolgen, bei Politikern zumindest in der Theorie, immer zum Wohl der Gesellschaft bzw. im Fall der Sirtuine zum Wohl der Zelle und des Gesamtorganismus.
Aufgrund ihrer wichtigen Rolle im Zusammenhang mit dem Alterungsprozess werden sie von mancher Stelle als Gene der Langlebigkeit bezeichnet. Sie sind am Zellstoffwechsel beteiligt und können viele Zellfunktionen regulieren, einschließtlich DNA-Reparatur, Entzündungsreaktion, Zellzyklus oder Zelltod.
So wie ein Politiker allerdings Wähler benötigt, die ihn in die Position des Entscheidens bringen, benötigen Sirtuine NAD+ um zu funktionieren. Dieses Molekül kommt in jeder Zelle des menschlichen Körpers vor und ist ein bedeutender Stoffwechselregulator. Ohne NAD+ würden wir sterben – so wichtig ist NAD+.
Ein gesunder Lebensstil mit körperlicher Aktivität, ausreichend Schlaf und Fastenepisoden kann die Integrität der Sirtuin-Funktion unterstützen. Zudem wurden Moleküle entdeckt, die den NAD+ Spiegel erhöhen können und damit Treibstoff für die Funktion der Sirtuine bilden.
NF-kB – Inflammaging
Nuclear Factor kappa-B (NF-kB) ist in die Regulation von Entzündungsprozessen eingebunden. Ähnlich wie bei mTOR macht auch hier die Dosis das Gift. Entzündungen sind grundsätzlich einmal etwas Gutes, weil sie dabei helfen Krankheitserreger abzuwehren und uns vor schädlichen Reizen bewahren. Eine zu niedrige Funktionalität von NF-kB hat dementsprechend negative Folgen, weil unser Schutzschild geschwächt wird. Eine Überaktivierung, wie sie im Alter häufig gefunden wird, führt zu einer chronischen Entzündung, dem sogenannten Inflammaging. Dieser hippe Begriff steht auf deutsch für Entzündungsaltern und ist einer der Hallmarks of Aging.
Wenn wir an eine klassische, lokale Entzündung (Aphten im Mund oder Gelenksentzündung) denken, assoziieren wir damit meistens Schmerzen und eine Einschränkung unseres Wohlbefindens. Beim Inflammaging treten diese spürbaren Zeichen nicht auf. Stattdessen entwickelt sich in vielen Zellen überall im Körper eine unterschwellige Entzündung, die die Zellfunktion im Allgemeinen nachhaltig beschädigt. Therapeutisches Ziel ist es deshalb, die altersbedingte Überfunktion von NF-kB zu bremsen. Dazu hat sich ebenfalls ein gesunder Lebensstil mit wenig Stress und ausreichend Erholung als förderlich erwiesen.
Quo vadis?
Während das chronologische Alter praktisch unveränderlich ist, Urkundenfälschung einmal ausgenommen, verhält es sich mit dem biologischen Alter anders. Auf der einen Seite ist Alter eine immerzu steigende Zahl, auf der biologischen Seite mehrheitlich eine Abnahme der Anpassungsfähigkeit des Körpers. Dieser Abnahme kann mittlerweile begegnet werden – wenn man die richtigen Pfade hin zur Langlebigkeit beschreitet.