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8. Hallmark of Aging: Stammzellerschöpfung
Longevity Magazin

8. Hallmark of Aging: Stammzellerschöpfung

Stammzellen sind Zellen, die eine geringe bis keine Differenzierung aufweisen. Übersetzen wir diese etwas trockene, wissenschaftliche Formulierung, erkennen wir das Potential von Stammzellen. Aus Stammzellen können sich neue Zellen bilden, von Haut-über Muskel- bis hin zu Leberzellen. Sie sind wie ein Schweizer Taschenmesser, mit allem ausgestattet, was eine neue Zelle braucht. Und das macht sie im Körper so einzigartig. Eine andere Analogie wäre die Joker-Karte in einem Spiel. Diese kannst du immer einsetzen.

In der Medizin sind Stammzellen und ihr Potential schon länger bekannt. Sie werden auch schon bei einigen Erkrankungen, wie der Leukämie, erfolgreich eingesetzt. Wir werden dir in diesem Artikel aber auch zeigen, dass es unterschiedliche Arten von Stammzellen gibt. Im Alter scheint es so zu sein, dass die Stammzellen nicht mehr so effektiv arbeiten können wie früher, weshalb die Stammzellerschöpfung als eines der Hallmarks of Aging aufgenommen wurde. Wir zeigen dir die Hintergründe, erklären was Stammzellnischen sind und warum es „Stammzelltourismus“ gibt.

Stammzellen – weniger ist nicht mehr

Die Abnahme der Erholungsfähigkeit von Geweben ist eines der offensichtlichsten Merkmale des Alterns. Schauen wir uns die Blutbildung (Hämatopoese) an, welche mit dem Alter abnimmt. Dieser Umstand führt zu einer geringeren Produktion von Immunzellen, die sich an die immer neuen Bedrohungen anpassen können. Die Fachwelt bedient sich eines uns bekannten Begriffs, um dieses Phänomen zu beschreiben: Immunoseneszenz. Als Folge kann es zu Blutarmut oder zu bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks kommen.

Diesen funktionellen „Stammzellenabrieb“ beobachteten ForscherInnen bei Mäusen an mehr oder weniger allen Orten im Körper, wo Stammzellen beheimatet sind. Dazu zählen beispielsweise Vorderhirn, Knochen oder Muskelfasern. Überall dort können damit alte oder abgestorbene Zellen nicht mehr ausreichend durch neue Zellen ersetzt werden.

Studien, die an gealterten Mäusen durchgeführt wurden, brachten weitere Erkenntnisse in diese Richtung. Dort erfassten WissenschaftlerInnen eine Abnahme der Zellzyklusaktivität bei Stammzellen der Blutbildung. Das hängt mit der Ansammlung von DNA-Schäden (siehe genomische Instabilität) und mit der Hemmung des Zellzyklus (siehe zelluläre Seneszenz) durch das uns bereits bekannte Protein p16INK4a zusammen. Die Verkürzung der Telomere (siehe Telomerabrieb) ist ebenfalls eine wichtige Ursache. All das sind jedoch nur Beispiele für ein weit größeres Bild dessen, was einen funktionellen Rückgang der Stammzellpopulation verursacht.

Haben wir im Alter einfach zu wenig Stammzellen?

Die offensichtliche Ableitung aus den Ergebnissen der Studien müsste also sein: Im Alter nimmt die Anzahl der Stammzellen ab. Doch stimmt das überhaupt?

Nicht ganz, wenn man einen genaueren Blick auf die Stammzellen wirft, wird das Bild ein wenig komplizierter. Dazu musst du zunächst wissen, dass es unterschiedlich potente Stammzellen gibt. Die wohl potenteste Stammzelle, ist die, aus der wir alle entstanden sind: Die Zygote (kurze Anmerkung: Als Zygote bezeichnet man die Verschmelzung von einer Eizelle mit einem Spermium)

In unserem Erwachsenenkörper sind Stammzellen etwas anders organisiert, meist in Form von sogenannten Stammzellnischen. Diese befinden sich an unterschiedlichen Orten, je nachdem wo sie gebraucht werden. Unsere Haut besitzt mehrere Stammzellnischen, da von hier aus die neuen Zellen heranreifen. Aber auch unsere Organe, wie die Leber, die Lunge oder der Darm besitzen Stammzellnischen. Genau diese Stammzellnischen sind anscheinend besonders im Alter betroffen.

Stammzellnischen – der Ort des Alterns

Nehmen wir als Beispiel die Haut. In jungen Jahren hast du ein großes Depot an funktionsfähigen Stammzellen in der Nische. Diese sorgen dafür, dass sich deine Haut schnell wieder erneuert. Gerade bei Verletzungen spielen diese Stammzellnischen eine besondere Rolle. Nun sind nicht alle Stammzellen in dieser Nische gleich. Einige sind besonders fleißig und tragen besonders zur Zellerneuerung bei, während andere eher träge sind und nur wenig zur Wundheilung beisteuern.

Was passiert nun im Alter? Es scheint so, als ob die insgesamte Anzahl an Stammzellen sich gar nicht großartig verändert. Dafür fehlen aber immer mehr die besonders fleißigen unter ihnen, so dass die Leistung der Stammzellen in ihrer Nische nachlassen. Stammzellen können auch in eine Art Seneszenz verfallen, in der sie kaum zu aktivieren sind.

Unter dem Mikroskop sieht es so aus, als ob genug Stammzellen vorhanden sind, aber in Wahrheit sind diese erschöpft und kommen mit der Produktion nicht mehr nach. Das Resultat. Verletzen wir uns im Alter sind weniger fleißige Stammzellen vorhanden und die Wundheilung dauert wesentlich länger.

Zu wenig Stammzellen – die offensichtliche Lösung ist zu einfach gedacht

Wir haben also unsere Lösung. Wir brauchen mehr funktionsfähige Stammzellen, damit wir unseren Körper erneuern können. Ganz so einfach ist es leider nicht. Eine zu hohe Aktivität von Stammzellen wurde mit einem schnelleren Altern assoziiert. Überzeugend demonstriert wurde diese Erkenntnis in einem Experiment mit Darmstammzellen von Fruchtfliegen (Drosophila). Eine gesteigerte Teilung von Stammzellen mündete in vorzeitigem Altern.

Und wenn sich Zellen unkontrolliert teilen, haben wir einen anderen Namen dafür: Krebs

Erinnern wir uns nochmal zurück an INK4a (siehe zelluläre Seneszenz) und IGF-1 (siehe deregulierte Nährstoffmessung). Für beide Parameter wurde eine paradoxe Wirkung im Laufe des Lebens beschrieben. Ein Anstieg von INK4a treibt Zellen in einen Stillstand des Zellzyklus – es kommt zur Seneszenz. Ebenfalls ist eine Abnahme von IGF-1 im Serum mit einem Rückgang der Zellteilungsfähigkeit assoziiert. Beide Vorgänge kommen während dem normalen Altern vor, passieren aber in positiver Absicht. Und zwar spiegeln sie den Versuch unseres Körpers wider, die Integrität der Stammzellen zu erhalten.

Wusstest Du? In den Hallmarks of Aging findet sich häufig die Erwähnung von freien Sauerstoffradikalen. Die sogenannten ROS spielen dabei eine Doppelrolle. Im jungen Alter können sie von Vorteil für uns sein, während ein Übermaß an ROS unsere DNA und unsere Proteine zerstören kann. Genauso wirken sich die ROS auf die Stammzellen aus. Ein zu viel dieser Radikale kann potentiell zur Stammzellerschöpfung beitragen.

Unser Körper versucht dies hauptsächlich durch die Bildung von Glutathion zu verhindern. Wenn du mehr darüber wissen willst, dann schau gerne in unseren Artikel über GlyNAC rein. Da erklären wir dir auch, warum man Glutathion besser nicht substituieren soll und was die Aminosäure Glycin mit dem Thema zu tun hat.

GlyNAC ist ein vielversprechendes Molekül wenn es um zelluläre Energie und auch das biologische Alter geht.

FGF2 – ein neuer Ansatzpunkt für erschöpfte Stammzellen

Auf der Suche nach Wegen die Stammzellen wieder zu unserem Vorteil zu aktivieren, hat sich die Forschung mit dem Protein FGF2 beschäftigt. Dabei handelt es sich um einen Wachstumsfaktor für Zellen des Bindegewebes. Ist der FGF2-Spiegel im Körper hoch, dann führt dies bei gealterten Stammzellen zu einer Erschöpfung und damit zu einer Einschränkung der Erholungsfähigkeit.

Die gute Nachricht ist, dass eine Unterdrückung dieses Signalweges diesen Zustand verhindert. Hierbei handelt es sich also um eine mögliche therapeutische Strategie zur Bekämpfung der Stammzellenerschöpfung.

Wie können wir die Stammzellen stärken?

Gehen wir nun ein Stück weg von der Grundlagenforschung und wagen einen Ausblick auf die Zukunft. Wir wissen mittlerweile, dass unsere Stammzellen im Alter nicht mehr so leistungsfähig sind. Aber woher kommt dies? Was lässt unsere Stammzellen altern?

Eine mögliche Erklärung liefert ein etwas bizarr anmutendes Experiment, welches wir auch schon im 5. Hallmark of Aging besprochen haben. Näht man zwei Mäuse, eine jung und gesund, die andere alt und krank, zusammen, erhält man eine sogenannten Parabiose. Interessanterweise fanden die Forscher heraus, dass bei den alten Mäusen die Stammzellen in den Zellnischen des Gehirns und in der Leber wieder deutlich verjüngt waren.

Diese Ergebnisse lassen sich auch reproduzieren, wenn man alten Mäusen das Blut junger Mäuse spritzt, was darauf schließen lässt, dass es keinen Austausch an Stammzellen gab, sondern vielmehr, dass im Blut der jungen Mäuse molekulare Signale existieren, die die Stammzellen wieder jünger werden lassen. Welche, das bleibt noch die Frage.

Wusstest Du? Solche Parabiose Experimente sorgen immer für großes Aufsehen in der Presse (siehe z.B. Bryan Johnson Selbstexperiment, in dem er sich Blutplasma seines Sohnes geben lässt). Zurecht werden bei solchen Aktionen große ethische Bedenken geäußert. Blut-Transfusionen sind nicht ohne Risiko und die „Quelle der ewigen Jugend“ wird sicherlich nicht darin zu finden sein, dass man sich junges Blut infundieren lässt. Interessanter wird es herauszufinden, welche genauen Signalwege im jungen Blut für die Erneuerung der Stammzellen sorgt. Damit ließe sich dann in der Zukunft neue Therapiemethoden gestalten.

Gibt es nicht noch andere Wege?

Zum Glück ist junges Blut nicht das einzige, womit man alte Stammzellen wieder erstarken lassen kann. Sport scheint ein bewährtes Mittel zu sein, um die Stammzellen wieder aktiv zu bekommen. Außerdem verbesserte Fasten die Funktion von Darm- und Muskelstammzellen im Tiermodell.

Vermutlich liegt der Effekt vom Fasten in der Regulierung verschiedener Signalwege, hauütsächlich dem IGF-1 und dem mTOR-Pathway. So konnte nämlich auch gezeigt werden, dass Fasten-Mimetika, die genau über diese molekulare Achse wirken, auch positive Effekte auf die Stammzellen haben.

Medikamentöse Beeinflussung der Stammzellen

Zu guter Letzt standen auch mögliche medikamentöse Interventionen zur Verbesserung der Stammzellfunktion auf der Forschungsagenda. Dabei interessierte sich die Wissenschaft insbesondere für den mTOR-Hemmer Rapamycin – ein alter Bekannter. Dieses Molekül entfaltet seine Wirkung über die Beeinflussung der Proteostase und über die Messung von Energiesignalen. Auf Basis dieser beiden Mechanismen konnte in Studien die Stammzellfunktion in der Haut, im blutbildenden System und im Darm verbessert werden.

Diese Erkenntnisse zeigen einmal mehr das schwierige Unterfangen auf, die molekularen Grundlagen für die Anti-Aging-Aktivität von Rapamycin zu entwirren. Außerdem macht es deutlich, wie vernetzt die Kennzeichen des Alterns untereinander sind.

Neben Rapamycin ist dann noch die pharmakologische Hemmung von CDC42 erwähnenswert. Humane Zellen im Seneszenzstadium konnten dadurch verjüngt werden. Eine Überexpression von CDC42, das unter anderem an der Kontrolle des Zellzyklus beteiligt ist, wurde zudem in einer bestimmten Art von Lungenkrebs nachgewiesen.

Stammzelltherapie – Vorsicht vor falschen Versprechungen

Wie wir gesehen haben sind Stammzellen potente Helfer im Kampf gegen das Altern. Wenn wir herausfinden können, wie wir diese natürliche Ressource wieder zur vollen Kraft verhelfen, dann stehen uns viele neue Möglichkeiten offen.

Genau mit dieser Hoffnung gibt es (leider) einige schwarze Schafe, die damit sehr viel Geld machen möchten. In einigen Regionen dieser Welt, z.B. in der Karibik, wird mit Stammzelltherapie geworben. Von einer verbesserten Wundheilung bis hin zur Krebstherapie – die Versprechen sind oft groß, die Realität allerdings oft ernüchternd. Die FDA, die amerikanische Behörde für Arzneimittel, hat sogar eine offizielle Warnung vor solchen Betrugsfällen ausgeschrieben.

Stammzellen und Altern: Frage der Zeit, nicht Frage der Mittel

Die Erschöpfung von Stammzellen ist eine immanente Folge von altersbedingten Schäden in Zellen. Nicht zu Unrecht wird davon ausgegangen, dass dieser Prozess einer der Hauptverursacher des Alterns unseres Körpers ist. Schließlich münden praktisch alle Kennzeichen des Alterns die wir bis dato kennengelernt haben in der Stammzellenerschöpfung. Neuere Studien bilden ein vielversprechendes Fundament für die Annahme, dass die Verjüngung von Stammzellen das Altern auf der Ebene des Organismus umkehren kann.

Sind diese Erkenntnisse damit eine Art Basis für eine Zeitmaschine zurück zum biologischen Jung sein? Auch wenn der Gedanke für den ein oder anderen reizvoll ist, gibt es dafür aktuell noch zu wenige Anhaltspunkte. Jedenfalls werden im Vergleich zu den anderen Hallmarks im Bereich der Stammzellenforschung massive Investitionen getätigt.

Stammzelltherapien sind bereits seit Jahren allgegenwärtig und haben zu drastischen Verbesserungen in der Behandlung von Krankheiten wie Leukämie geführt. Zudem wird den Stammzellen im Bereich der Transplantationsmedizin ein enormes Potential bescheinigt.

Es ist daher weniger eine Frage der Mittel als eine Frage der Zeit, bis sich die Resultate der Stammzellenforschung auf das Thema Anti-Aging und Gesundheitsspanne übertragen. Vielleicht müssen uns in Zukunft auch keine Gedanken mehr machen wie wir „Wiederherstellen“, wenn wir auch „Erhalten“ können.

Im nächsten Artikel dieser Reihe geht es um das neunte Kennzeichen des Alterns: Veränderte interzelluläre Kommunikation.

Quellen

Literatur

  • López-Otín, Carlos et al. “Hallmarks of aging: An expanding universe.” Cell vol. 186,2 (2023): 243-278. Link
  • Brunet, Anne et al. “Ageing and rejuvenation of tissue stem cells and their niches.” Nature reviews. Molecular cell biology vol. 24,1 (2023): 45-62. Link
  • López-Otín, Carlos et al. “Meta-hallmarks of aging and cancer.” Cell metabolism vol. 35,1 (2023): 12-35. Link
  • Liu, Beibei et al. “A stem cell aging framework, from mechanisms to interventions.” Cell reports vol. 41,3 (2022): 111451. Link

Grafiken

Die Bilder wurden unter der Lizenz von Canva erworben.

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